'Eine Neuausgabe der Orgelwerke von Dietrich Buxtehude (1637-1707) bedarf kaum einer Rechtfertigung. Als Philipp Spitta im Jahre 1875 erstmals die freien Orgelwerke Buxtehudes herausgab, vollbrachte er damit eine wissenschaftliche Pionierleistung, die nicht weniger Bewunderung verdient als seine Bachbiographie. Mit viel Scharfsinn und sicherem Instinkt ordnete er die damals bekannten zehn Quellenschriften und stellte eine Abhängigkeitshypothese auf, die im wesentlichen bis heute gültig ist. Spittas Hoffnung auf die Entdeckung neuer Quellen erfüllte sich in ungeahntem Maße dass die vorliegende Ausgabe sich auf die dreifache Handschriftenzahl stützen kann (sechs verschollene Quellen nicht mitgerechnet).
Vor allem zwei Quellenschriften wurden von Bedeutung: Eine erste Ergänzung der Spittaschen Ausgabe konnte im Jahre 1939 durch Max Seiffert vorgelegt werden, nachdem in der Musikbücherei der Yale-Universität in New Haven, Connecticut USA, der Lowell-Mason-Codex mit seinen bedeutenden Buxtehudeabschriften entdeckt worden war, die zudem die älteste datierte Quelle (1684) sind. Von ähnlicher Bedeutung war die Erschließung der Buxtehudehandschriften in der Universitätsbibliothek Lund durch Josef Hedar (1950 und 1952). Diese Quellen sind zwar eine Generation jünger als die Yale-Handschriften, sie sind aber noch in der originalen Notierungsform überliefert: in deutscher Buchstabentabulatur.
Ein Wunschtraum der Buxtehudeforschung ist bis heute nicht in Erfüllung gegangen:
Nicht eine der bekannt gewordenen Orgelkompositionen Buxtehudes ist im Autograph überkommen. Die Zuverlässigkeit der Abschriften ist - jedenfalls im Detail -vielfach in so hohem Grade fragwürdig, dass mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen Autograph und ältesten Quellen noch mehrere Zwischenglieder anzunehmen sind. Buxtehude hat seine Kompositionen in Buchstabentabulatur geschrieben. Die überwiegende Mehrzahl der Handschriften ist aber in Notenschrift überliefert. Das bedeutet, dass in der Tradierung drei Fehlerquellen zusammengeflossen sind: die Hauptfehlerneigungen der Buchstabentabulaturen (insbesondere Oktavversetzungen), die Irrtümer bei der Umschrift (insbesondere Taktaufteilung, feste Vorzeichen) und schließlich die Kopiefehler von einer Notenhandschrift zur anderen (insbesondere Terzversehen, Akzidentienfehler)...' - Christoph Albrecht